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Selbst gemeißelte Marke für ein Katastrophenhochwasser

22.02.2019

Deichbruch setzte vor 143 Jahren westelbische Gebiete unter Wasser

Heute vor 143 Jahren brach bei Glinde der Deich. Für Pömmelte, Glinde und Schönebeck war es ab dem 23. Februar 1876 das schlimmste Hochwasser aller Zeiten. Verschiedene Wasserstandsmarken erinnern heute daran.

 

Von Thomas Linßner

Vor 143 Jahren versank dieser Teil der Schönebecker Altstadt in den Fluten der Elbe. Am 22. Februar 1876 war zwischen Glinde und Monplaisir der Damm gebrochen. Die Stelle wird noch heute als 76er-Bruch bezeichnet. Einen Teil der Schuld gibt man dem Pretziener Wehr.

 

Glinde/Schönebeck l Zu Beginn eine Episode. Kurt Schmidt aus der Schönebecker Worth wohnte dort, wo das Hochwasser 1876 wütete. Um an dieses Ereignis zu erinnern und vielleicht auch ein bisschen zur Mahnung, wollte er an seinem kleinen Haus auch eine Hochwassermarke haben, wie es sie anderen Orts an Hausfassaden bereits gab. Denn gerade in diesem Viertel der Schönebecker Altstadt gab es keine dieser Erinnerungstafeln. Weil Kurt Schmidt Heimatbewusstsein, „goldene Hände“ und eine Tochter hatte, die gerade in Halle-Giebichenstein Kunst studierte, kam er Anfang der 1970er Jahre auf eine Idee: Ich fertige mir selbst eine Hochwassermarke und baue sie ein. Tochter Bärbel Feldbach, die man heute als Wahl-Zenser Keramikerin kennt, bekam den Auftrag, den historischen Schriftzug einer solchen Marke von 1876 abzuzeichnen. Karl Schmidt besorgte sich ein Stück weißen Marmor, wie man ihn früher für Waschtischplatten verwendete, und meißelte los. Die Höhe wurde ausnivelliert, die kleine Gedenktafel kurz darauf in seinem Haus in der Worth eingesetzt.

So weit, so gut.

Als die Erben Bärbel und Michael Feldbach das Haus 2017 in Vorbereitung eines Ersatzneubaus abreißen lassen wollten, stolperte die Denkmalspflege im Zuge des Antragsverfahrens über die Hochwassermarke. Selbst Feldbachs Beteuerungen, dass der Stein in schönster Heimwerkermanier um 1973 selbst angefertigt und verlegt wurde, ließen die Denkmalsschützer nicht gelten.

Fazit: Egal, das ist ein Kleindenkmal und muss wieder dran!

So kam es, dass in die Fassade des Nachfolgehauses in der Worth Karl Schmidts historisch veredelte Waschtischplatte erneut eingesetzt wurde. Michael Feldbach betont, dass die Höhe auch exakt ausnivelliert wurde ...

Deichbruch 22. Februar

Zugemauerte Fenster

Es war wie so oft. Der Januar 1876 hatte bei relativ milden Temperaturen viele Niederschläge gebracht, die in den Mittelgebirgen als Schnee niedergingen. Anfang Februar wurde es kälter, sodass am 20. heftiger Eisgang die Elbe bedeckte. Es reichte, um den Fährbetrieb zwischen Schönebeck und Grünewalde lahmzulegen. Parallel dazu setzte schlagartig Tauwetter ein. Das Wasser wuchs, überflutete Elbtor und Müllerstraße.

Als das Wasser immer weiter stieg, blieb man gelassen, mauerte aber die ersten Kellerfenster zu, um Kohlen und Kartoffeln zu retten. Wasser in den Kellern – seit Generationen eine normale Sache. Der anschließenden Feuchtigkeit wegen hielten sich eingelagertes Obst und Gemüse oft bis zum Mai.

In den „Heimatglocken des Kreises Calbe“, eine viel gelesene Beilage der Schönebecker Zeitung, war in einem Beitrag von 1926 zu lesen: „An den Häusern entlang wurden Stege gelegt, die den Verkehr notdürftig aufrecht erhielten. Wem der Weg über die schwankenden Stege zu ängstlich war, der konnte sich auch auf einem der Großmannschen Fischerkähne von der Müllerstraße bis gegen die Elbstraßenecke hin fahren lassen, wo er dann wieder festen Boden unter den Füßen hatte.

Ähnlich wie heute versammelten sich die ersten Schaulustigen an der Elbstraße. Dem gegenüber strebten die ersten Betroffenen zum Rathaus, wo man sich über Pegelstände der oberen Elbabschnitte (!) informieren konnte. Verschiedene Depeschen aus Dresden mahnten zur Vorsicht.

Die älteren Einwohner erinnerten sich plötzlich an das letzte große Hochwasser, das 31 Jahre zurück lag.

Auch 1845 waren die Uferbereiche Schönebecks überflutet. Damals teilte sich der Strom vor Glinde. Ein Teil der Wassermassen floss an Schönebeck vorbei, der andere wälzte sich die Alte Elbe entlang. Sie verläuft in Richtung Pretzien, Plötzky, Randau und mündet bei Magdeburg-Salbke wieder in die Stromelbe. Der heutige Umflutkanal.

Die Wassermassen konnten sich in diesem Terrain seit Jahrhunderten ausbreiten, was den Druck von den Dämmen nahm. Doch 1876 hatte sich die Situation verändert. Das Pretziener Wehr war ein Jahr zuvor fertig geworden. Es versperrte nun diesen Weg. Als die Elbe im Februar 1876 stieg und stieg, zögerte man mit dem Ziehen des Wehrs. Der Grund: Der Umflutkanal, der die Wasser an Pechau vorbei nördlich von Magdeburg in die Elbe leiten sollte, war noch nicht fertig. Man pokerte. War es wirklich schon nötig, das Wehr zu ziehen und die im Bau befindlichen Anlagen somit zu gefährden? Als dann endlich die bedrohliche Lage erkannt wurde und an den Füßen der Deiche die ersten Sickerstellen sichtbar wurden, gab die Regierung in Magdeburg grünes Licht.

Bahndamm war Deich

Doch es war zu spät. Infolge des Eisgangs ließen sich die Schieber des Wehrs nicht mehr bewegen. Unter riesiger Anstrengung gelang es, wenigstens einen Teil zu öffnen. Doch das reichte nicht aus, um die Dämme zwischen Glinde und Barby zu entlasten.

Es kam, was kommen musste. Einige hundert Meter nördlich des Vorwerks Monplaisir und an zwei anderen Stellen brach am 22. Februar der Deich. Glinde, Pömmelte, Monplaisir und Zackmünde waren kurze Zeit danach überflutet. Stunden später wirkte ein Eisenbahndamm, der von der Strecke Magdeburg-Halle zur Schönebecker Saline abzweigte, wie ein Schutzdeich. Doch auch er wurde von den Wassermassen unterspült und fort gerissen.

In Schönebecks Gegend um die Jakobikirche schleppte man bereits Möbel und anderen empfindlichen Hausrat in obere Etagen. Sogar das Vieh wurde mit in die Wohnung genommen. Leute, die in alten Lehmhäusern wohnten, flüchteten zu Nachbarn.

In der Stadt machte sich das Gerücht breit, dass der Hochwasserscheitel gegen Mitternacht Schönebeck passiere. Doch das war Wunschdenken. Das Wasser stieg auch am Morgen des 23. Februars weiter.

Wie die Schönebecker Zeitung schrieb, waren Reiche und Arme plötzlich in einer Schicksalsgemeinschaft vereint. In Carlshall stellte man unter großen Mühen ein Klavier auf Tische. Es reichte nicht aus. Stunden später stand es trotzdem im Wasser.

Auch die im 13. Jahrhundert errichtete Jakobikirche erlitt schwere Schäden, die erst bei einer Generalreparatur 1884/85 beseitigt wurden.

 

 

Bild zur Meldung: Michael und Bärbel Feldbach - vielen Menschen bekannt durch den Kulturhöhepunkt Sommerkonzert in Zens - setzten die von Karl Schmidt 1973 gemeißelte Hochwassermarke im Ersatzneubau Schönebecker Worth wieder ein. Archiv/Fotos: Thomas Linßner